Nach dem Zweiten Weltkrieg ist bereits einmal eine Abgeltung auf deutschen Vermögen in der Schweiz entrichtet worden. Damals profitierte Deutschland. Die beiden Abgeltungssteuerabkommen gleichen sich in vielem.
Die emsige Bankdatenakquisition deutscher Steuerbehörden löst nördlich des Rheins regelrechte Politkapriolen aus, steht doch die bundesdeutsche Presse in der Schweiz-Schelte wie selten zuvor hinter der Politik. Die deutsche Diskussion um das von der Schweiz vorgeschlagene Modell einer Abgeltungssteuer ist längst zu einer Moraldebatte entartet, weil bundesdeutsche Vorstellungen von Steuerlauterkeit auf schweizerische Ansprüche an den Schutz der Privatsphäre treffen. Dabei kommen pragmatische Ansätze leider zu kurz. Statt über die Schweiz den Stab zu brechen, könnte man an einen historisch bewährten Präzedenzfall anknüpfen.
Abgeltung statt Konfiskation
Die westlichen Alliierten hatten von der Schweiz 1946 im Washingtoner Abkommen gefordert, deutsche Vermögenswerte bei schweizerischen Banken zu konfiszieren und zum Begleichen deutscher Kriegsschulden zur Verfügung zu stellen. Diese Vermögenswerte waren von der Schweiz durch Bundesratsbeschluss bereits seit 1945 gesperrt. Nachdem die Schweiz jedoch wohlwollend gegenüber Deutschland die Umsetzung des Washingtoner Abkommens verzögert hatte, wurde einige Jahre später eine andere, elegantere Lösung gefunden. Knapp ein Drittel des in der Schweiz deponierten deutschen Geldes wurde auf ein Konto der Bundesrepublik Deutschland einbezahlt. Somit konnte Deutschland diese Beträge selbst zur Tilgung von Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Alliierten verwenden, ohne dass deswegen Kontodaten an die Weltöffentlichkeit gelangten. Die Schweiz konnte so das Bankgeheimnis wahren.
Zahlreiche Parallelen
Dieses für die damals junge Bundesrepublik vorteilhafte Modell einer Abgeltungssteuer von 1953 weist bei näherer Betrachtung zahlreiche Parallelen zum heutigen Steuerabkommen auf. Erneut sollen in einem ähnlichen Verfahren deutsche Vermögenswerte regularisiert werden. Während vor sechzig Jahren der überwiegende Vorteil primär im Schutz Deutschlands vor der Konfiskation deutscher Vermögenswerte durch die Alliierten lag, trägt heute das Abgeltungsmodell unter Ausrichtung eines substanziellen Abgeltungsbetrags zur Bewahrung des schweizerischen Bankgeheimnisses bei. Was für die Wahrung der Interessen für Deutschland 1953 recht war, sollte eigentlich auch 2013 für die Schweiz billig sein. Doch die überzogene Kritik am Abgeltungssteuermodell ignoriert das Entgegenkommen der Schweiz von einst völlig.
Durch das Abkommen über die deutschen Vermögenswerte wurde den deutschen Eigentümern der in der Schweiz durch Beschluss der Alliierten blockierten deutschen Vermögen die Möglichkeit eröffnet, die freie Verfügung über diese Vermögenswerte wiederzuerlangen. Die Schweiz verpflichtete sich zur Freigabe gegen Zahlung eines Ablösungsbetrages von 121,5 Mio. Fr. an die Bundesrepublik Deutschland. Damals wie heute wurde somit eine pauschale Abgeltung für deutsches Vermögen in der Schweiz erhoben. Dieser Betrag sollte in beiden Fällen durch die betroffenen Eigentümer aufgebracht werden, die in der Regel ein Drittel des Wertes des freizugebenden Vermögens ausmachten. Durch den geleisteten Beitrag galten die Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz als abgegolten.
Soweit der Beitrag von den Eigentümern nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt wurde, erfolgte die Liquidation des Vermögens. Den Liquidationserlös erhielt die Bundesregierung, und sie belegte das Vermögen mit Ausgleichsabgaben zuzüglich einer Strafsteuer nach Massgabe des Lastenausgleichsgesetzes. Und heute? Vermutlich würden nach Inkrafttreten des Abkommens 2013 die Banken die Bankbeziehung Steuerpflichtiger, die sich der Steuererhebung widersetzen, liquidieren, um das Abkommen nicht zu behindern.
Identisch ist in beiden Abkommen auch, dass die Zahlung der Abgeltungssteuer zu Straffreiheit für den Inhaber des Vermögens in der Schweiz führt. Möglich wäre aber auch, dass Konteninhaber ihre Bank ermächtigen, die Kontodaten an die deutschen Behörden weiterzuleiten, weil sie ihre Vermögen in der Schweiz in Deutschland legalisieren und dort die Steuern entrichten.
Für Deutschland ist zur lückenlosen Umsetzung des heutigen Abkommens entscheidend, dass nicht Vermögen vor dem Inkrafttreten des Abkommens in Drittstaaten transferiert werden. 1953 stellte sich dieses Problem nicht, da die Vermögen bereits blockiert waren. Heute ist die Möglichkeit, Gelder in Steueroasen zu verlagern, zum Hindernis der Ratifikation in Deutschland geworden. Doch auch diese Kritik ist wenig berechtigt, hat sich doch die Schweiz verpflichtet, Deutschland über die Höhe und die wichtigsten Destinationen allfälliger Transfers zu berichten.
Vorschuss an Deutschland
Zu den zahlreichen Ähnlichkeiten gehört auch, dass beide Abkommen vorsehen, dass die Banken einen Vorschuss an Deutschland leisten, nachdem sich die Schweiz dazu verpflichtet hat, die Gelder einzutreiben. Eigens dafür wurde damals eine schweizerische Verrechnungsstelle errichtet. Der an Deutschland zu entrichtende Betrag wurde als Kredit vorab von einem von der Schweizerischen Kreditanstalt geführten Konsortium aufgenommen. Beim heutigen Abgeltungssteuermodell wollen die Banken ihre Verpflichtungen gegenüber Deutschland auch über eine zentrale Abwicklungsgesellschaft erfüllen, die noch gegründet werden soll.
Respekt vor dem anderen
Das Modell und System der Abgeltungssteuer zielt darauf ab, den Vertragsparteien auch ein legitimes wirtschaftliches Interesse am Fortbestehen des jeweils anderen Rechtsverständnisses zuzubilligen. Entscheidend bei dem Modell ist, dass am Prinzip des Bankgeheimnisses festgehalten wird und Deutschland dennoch weiteres Steuersubstrat erschlossen wird. Die Demontage dieses Abkommens durch die deutschen Sozialdemokraten kommt einer prinzipiellen Ablehnung des Bankgeheimnisses gleich.
Angesichts des historisch erfolgreichen Präzedenzfalls zur Regularisierung von Altgeld schiene es naheliegend, dass Deutschland, statt mit einer moralisch aufgeladenen Fiskaldebatte gegen die Schweiz aufzurüsten, den Pragmatismus aus der Vergessenheit hervorholen würde. Immerhin wären sechzig Jahre seit dem Schutz deutschen Vermögens vor der Konfiskation Grund genug, sich gemeinsam über ein rundes Jubiläum eines bewährten Modells zu freuen.
Radu Golban ist ein in St. Gallen lebender Unternehmer und Publizist und Privatdozent an der Universitatea de Vest im rumänischen Timisoara.
Sursa: www.nzz.ch
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns Deinen Kommentar!